Sie lassen sich auf verschiedene Weise in drei Gruppen unterteilen, je nach Ziel und Deutungsperspektive. 

1. Die Heldenreise: Drei Lebensphasen

Ein psychologisch-symbolischer Weg der inneren Entwicklung

Abschnitt Karten Bedeutung
I. Der Weg in die Welt 0 – VII (Narr bis Wagen) Kindheit, Sozialisation, erste Identität – äußere Orientierung
II. Die Konfrontation mit der Tiefe VIII – XIV (Gerechtigkeit bis Mäßigkeit) Krise, Schattenarbeit, Reifung – innere Umbrüche
III. Die Rückkehr und Integration XV – XXI (Teufel bis Welt) Erkenntnis, Befreiung, Ganzwerdung – spirituelle Vollendung

Der Narr (0) ist hier der Suchende, der sich durch alle Phasen bewegt – der Anfang liegt also vor der I.

2. Drei Ebenen des Seins: Körper – Seele – Geist

(Eine esoterisch-hermetische Deutung mit Stufenmodell

Ebene Karten Bedeutung
Körper / Weltliches I – VII (Magier bis Wagen) Die Gestaltungskraft in der Welt – Ich-Entwicklung
Seele / Inneres VIII – XIV (Gerechtigkeit bis Mäßigkeit) Auseinandersetzung mit Moral, Emotion, Transformation
Geist / Transzendenz XV – XXI (Teufel bis Welt) Befreiung vom Ich, Hinwendung zum Ganzen – spirituelles Erwachen

Auch hier steht der Narr (0) als Zeitloser / Beobachter / Seelenfunke außerhalb der Stufen – oder er umkreist sie immer wieder.

3. Archetypische Rollen: Gesellschaft – Individuum – Kosmos

Ein kulturphilosophisches Modell mit Perspektivwechseln

Bereich Karten Bedeutung
Gesellschaftliche Rollen I – V (Magier bis Hierophant) Ordnung, Systeme, Herkunft, Rollenbilder
Individuelle Entwicklung VI – XIV (Liebenden bis Mäßigkeit) Beziehung, Entscheidung, Reifung, Krise
Kosmische Kräfte XV – XXI (Teufel bis Welt) Archetypen des Schicksals und der Freiheit

Der Narr ist hier der Bewegende zwischen den Welten, der die Grenzen nicht nur durchläuft, sondern immer wieder hinterfragt.

Historische Entwicklung der vier Tarot-Systeme

Tarot ist kein festes System

Was wir heute als „Tarot“ kennen, ist das Ergebnis einer langen, komplexen Entwicklung – zwischen Kunst, Spiel, Philosophie und Esoterik.

Im Folgenden werden vier zentrale Etappen dieser Entwicklung vorgestellt, die jeweils eigene ästhetische, kulturelle und symbolische Akzente gesetzt haben.

Visconti-Sforza-Tarot
(15. Jahrhundert)

Kulturhistorisches Fundament des Tarot – künstlerisch einzigartig, aber nicht standardisiert.

Das Visconti-Sforza-Tarot ist eines der frühesten bekannten Tarots, entstanden um 1450 in Mailand im Umfeld der Adelsfamilien Visconti und Sforza.

Es war ein aufwendig gestaltetes Kartenspiel, kein esoterisches Werkzeug, sondern Ausdruck humanistischer Bildkultur und moralischer Allegorik der Frührenaissance¹.

Tarot de Marseille
(17.–18. Jahrhundert)

Erstes weit verbreitetes „volkstümliches“ Tarot mit standardisierten Bildern.

Das Tarot de Marseille entstand in Frankreich, v. a. in Lyon und Marseille, wo es ab dem 17. Jahrhundert durch Holzschnittdruck verbreitet wurde². Es bildete die Grundlage für viele spätere Tarotdecks, besonders im französischsprachigen Raum.

Die großen Arkana zeigen archetypische Figuren, die kleinen Arkana sind rein numerisch (Pip-Karten). Es diente sowohl als Spiel als auch als Ausgangspunkt für spätere okkultistische Deutungssysteme.

Rider-Waite-Tarot (1909)

Didaktisch und psychologisch stark wirksam – bis heute das einflussreichste Tarot weltweit.

1909 veröffentlicht, wurde dieses Deck von Arthur Edward Waite, einem Mitglied des esoterischen „Hermetic Order of the Golden Dawn“, konzipiert und von Pamela Colman Smith illustriert³.

Es war das erste weit verbreitete Tarot, bei dem alle 78 Karten bildlich gestaltet wurden – auch die kleinen Arkana. Die Symbolik verbindet kabbalistische, christliche und alchemistische Motive mit moderner Bildpädagogik.

Thoth-Tarot
(1938–1944 / veröffentlicht 1969)

Esoterisches System mit großer intellektueller Tiefe – komplex, provokant, faszinierend.

Konzipiert von Aleister Crowley, einem Okkultisten, Mystiker und Gründer von Thelema, und gestaltet von Frieda Harris, verbindet dieses Deck Astrologie, Kabbala, Mythologie und Alchemie in komplexer Formensprache⁴.

Es weicht in der Benennung und Darstellung bewusst von der Waite-Tradition ab. Karten wie „Adjustment“ (statt Justice) oder „Lust“ (statt Strength) zeugen von Crowleys Neuinterpretation klassischer Archetypen.


Literatur

 

  1. Stuart R. Kaplan: The Encyclopedia of Tarot, Vol. I. U.S. Games Systems, 1978.

  2. Thierry Depaulis: Tarot, jeu et magie, Bibliothèque nationale de France, 1984.

  3. Marcus Katz & Tali Goodwin: Secrets of the Waite-Smith Tarot. Llewellyn Publications, 2015.

  4. Lon Milo DuQuette: Understanding Aleister Crowley’s Thoth Tarot. Weiser Books, 2003

 

Vergleich der Großen Arkana in vier Tarot-Systemen

In manchen Decks (z. B. Rider Waite Smith) sind die Karten VIII und XI vertauscht.

Nr Visconti-Sforza Rider-Waite Marseille Aleister Crowley
I Il Bagatto Der Magier Le Bateleur The Magus
II La Papessa Die Hohepriesterin La Papesse The High Priestess
III L’Imperatrice Die Herrscherin L’Impératrice The Empress
IV L’Imperatore Der Herrscher L’Empereur The Emperor
V Il Papa Der Hierophant Le Pape The Hierophant
VI Gli Amanti Die Liebenden L’Amoureux The Lovers
VII Il Carro Der Wagen Le Chariot The Chariot
VIII La Giustizia Die Gerechtigkeit (XI) La Justice Adjustment
IX L’Eremita Der Eremit L’Hermite The Hermit
X La Ruota della Fortuna Das Rad des Schicksals La Roue de Fortune Fortune
XI La Forza Die Kraft (VIII) La Force Lust
XII L’Appeso Der Gehängte Le Pendu The Hanged Man
XIII La Morte Der Tod L’Arcane sans nom Death
XIV La Temperanza Die Mäßigkeit Tempérance Art
XV Il Diavolo Der Teufel Le Diable The Devil
XVI La Torre Der Turm La Maison Dieu The Tower
XVII Le Stelle Der Stern L’Étoile The Star
XVIII La Luna Der Mond La Lune The Moon
XIX Il Sole Die Sonne Le Soleil The Sun
XX Il Giudizio Das Gericht Le Jugement The Aeon
XXI Il Mondo Die Welt Le Monde The Universe
0 Il Matto Der Narr Le Mat The Fool